Haller Häuserlexikon – Besitzerliste 1827
Schlossergasse 1
Primärkatasternummer: 562
Besitzer: 1827
Groß, Johann Bernhard, Salzsieders Witwe
Besitzerliste
1827: Groß, Johann Bernhard, Salzsieders Witwe
1946-1954: Schneidermeister Karl Ignaz Hummel (wohl als Mieter).
Befunde aus Bauforschung
Keller aus dem 13. Jahrhundert. (StadtA Schwäb. Hall BF 15)
Keller aus dem 13. und 15./16. Jahrhundert, Holzwerk dendrochronologisch datiert auf 1415/1416, 1505/1506. (StadtA Schwäb. Hall BF 171)
Holzteile vom 16. Jahrhundert, dendrochronologisch datiert auf 1592/1594. (StadtA Schwäb. Hall BF 73)
Dendrochronologisch datiert: Hauptgebäude Dach auf 1593/94; Dacherker auf 1593/94. (BF Lohrum/Bleyer)
Gebäude war Zentrum einer hochmittelalterlichen Großparzelle. Im unterirdischen Baubestand Rest eines hochmittelalterlichen Baues (vgl. Datenbank Bauforschung Baden-Württemberg zum Haus Mauerstraße 6).
Beschreibungen
1827: Wohnhaus mit 15,8 Ruten, Wohnung u. Waschhaus 5 Ruten, Gartenhaus 1,2, Hof 6,8, Gartenhaus mit 2,6 Ruten, insgesamt 31,4 Ruten: Schlossers Gässle
Schlossergasse 1 (Flst.Nr. 0-404). Wohnhaus. Traufständiger verputzter Renaissancebau, Erkerbauten, hohe profilierte Balken. Barockes, zweiflügeliges Portal mit profiliertem Steingewände. 1594 (d). 1900 Dacherhöhung. § 2. ( aus: Liste der Kulturdenkmale in Baden-Württemberg, Stadt Schwäbisch Hall, Stand 13.11.2013)
Besonderheiten
Karl Ignaz Hummel alias Oskar Daubmann - eine Köpenickiade der 1930er Jahre
Von 1946 bis zu seinem Tod 1954 wohnte im Haus Schlossergasse 1 der Schneider Karl Hummel, Hauptakteur eines der spektakulärsten Hochstapelei-Fälle der 1930er Jahre.
Der 1898 in Oberweiler bei Basel geborene Karl Ignaz Hummel war als 11jähriger seinen Eltern entlaufen und nach einem Diebstahl in die Zwangserziehungsanstalt Flehingen (bei Bretten) eingewiesen worden. Obwohl er zwischendurch das Schneiderhandwerk erlernte, begann eine "Karriere" als Kleinkrimineller, an der auch der MIlitärdienst als Infanterist im Ersten Weltkrieg nichts änderte.
Nach zahlreichen Straftaten, die ihm mehrfach Haftstrafen in Deutschland und der Schweiz u.a. wegen Einbruchs, Diebstahls, Betrugs und Urkundenfäschung einbrachten, zog er 1930 nach Offenburg, eröffnete dort eine Schneiderwerkstatt und heiratete 1931 Kreszenzia Allgaier. 1932 verließ er seine schwangere Frau und sein durch die Weltwirtschaftskrise schlecht laufendes Geschäft, um sich in Nordafrika der Fremdenlegion anzuschließen. Hummel kam mit dem Fahrrad bis nach Neapel, musste seine Pläne aber aus gesundheitlichen Gründen und mangels Geld aufgeben. Um zu den Mitteln für seine Heimkehr nach Offenburg zu kommen, gab er sich als der im Ersten Weltkrieg vermisste Oskar Daubmann aus Endingen (Baden) aus, den er aus seiner Schulzeit und als Nachbarn seines Onkels kannte. Angeblich sei er 1917 nach einem Fluchtversuch wegen Totschlags zu 20 Jahren Haft verurteilt und in ein algerisches Gefangenenlager transportiert worden. Die Franzosen hätten ihn 16 Jahre in Afrika festgehalten.
Obwohl es seitens der Polizei von Anfang an Zweifel an der Echtheit "Daubmanns" gab, wurden von der Öffentlichkeit ignoriert und seine angeblichen Leiden von deutschnationalen und nationalsozialistischen Kreisen aufgegriffen, propagandistisch hochgespielt und aufgebauscht. Von Anfang an stand die "politische Verwendbarkeit" des Falles Daubmann im Vordergrund und gab Anlass zu maßlosen Ausfällen und Drohungen gegen Frankreich, das betont hatte, keine deutschen Kriegsgefangenen mehr festzuhalten. Josef Goebbels etwa schrieb in der NS-Zeitung "Der Angriff" über den Empfang "Daubmanns" am 29. Mai in Freiburg: "In diesen Minuten entstanden Daubmann Rächer, die dem sadistischen Frankreich die an dem deutschen Frontkämpfer Daubmann begangene Untat heimzahlen werden". In dieser aufgeheizten Stimmung waren kritische Stimmen, die auf Unstimmigkeiten in den Geschichten "Daubmanns" hinwiesen, unerwünscht und wurden empört zurückgewiesen. Erstaunlicherweise identifizierten auch die Eltern des echten Daubmann den Betrüger als ihren Sohn, trotz deutlicher Abweichungen wie einer anderen Augenfarbe. Hummel, der sich lediglich die Mittel für die Rückreise nach Deutschland hatte erschwindeln wollen, spielte notgedrungen mit. In den folgenden Wochen hielt er zahlreiche Vorträge im Sinne seiner deutschnationalen und nationalsozialistischen Förderer, wurde mit Ehrungen überschüttet und ließ sich feiern. Höhepunkt seiner Karriere als "Daubmann" war ein Empfang durch den Fürsten von Hohenzollern in Sigmaringen am 30. August 1832, der ihn eigenhändig mit dem Hohenzollern'schen Verdienstkreuz auszeichnete. Postkarten und andere Daubmann-Devotionalien fanden reißenden Absatz, eine Biografie wurde gedruckt. Nachdem französische Stellen bereits die Vorwürfe "Daubmanns" und seiner Unterstützer zurückgewiesen hatten, gelang es der Polizei, Hummel mit Hilfe seiner Fingerabdrücke zu identifizieren, woraufhin er am 11. Oktober 1932 verhaftet wurde. Damit hatten sich auch Nationalsozialisten und Deutschnationale, deren angeblicher Held sich als Hochstapler entpuppte, der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Reichsregierung sah sich genötigt, Frankreich für seine Ermittlungen zu danken und sich - allerdings nur mündlich - für die falschen Beschuldigungen zu entschuldigen.
Der aus Endingen stammende Lehrer Karl Johann Hirtler schrieb in seinem Buch über den Fall: "Unter dem wirtschaftlichen Elend des Jahres 1932 verwandelte sich Deutschland zu einem Nährboden, auf dem nationalistische Dummheit, freche Überheblichkeit und fanatisierter Führerglaube so üppig emporsproßten, daß objektives Denken, kritisches Beobachten und Urteilen nicht mehr gedeihen konnten." Der bekannte kommunistische Künstler John Heartfield karikierte den Fall mit einer Fotomontage Hitlers neben "Daubmann" mit kurzen "Lügenbeinen" unter der Überschrift "Hitler und Hummel, derselbe Rummel".
Bei dem 1933 folgenden Prozess verurteilte ihn das Landgericht Freiburg wegen schwerer Urkundenfälschung und Betrugs zu zweieinhalb Jahren Haft. In den folgenden Jahren hielten ihn die seit 1933 regierenden Nationalsozialisten in Sicherheitsverwahrung, ab 1938 im Schwäbisch Haller Gefängnis - um den lästigen Zeugen einer Blamage in der Hand zu behalten. Man äußerte explizit, er könne sich als politischer Flüchtling in zu Verwandten in der Schweiz absetzen und sich dort mit seiner Geschichte brüsten.
In Freiheit kam Hummel erst 1945 nach der Besetzung Schwäbisch Halls durch US-Truppen. 1946 heiratete er die Witwe Lina Haussmann geb. Schwaderer aus Bibersfeld - seine erste Frau hatte sich 1932 von ihm scheiden lassen. Das Ehepaar lebte ab 1946 in der Schlossergasse 1, wo Hummel als Schneider arbeitete. Mehrere Anträge, eine eigene Maßschneiderei eröffnen zu dürfen, lehnte der Haller Gemeinderat 1947 ab - der Gesuchsteller habe zuerst den Nachweis der abgelegten Meisterprüfung zu erbringen und diese ggf. zu wiederholen. "Insolange wird ihm empfohlen, bei einem anderen Schneider zu arbeiten". 1948 erhielt er dann die Erlaubnis unter der Bedingung, alsbald die Meisterprüfung nachzuholen. Eine Gewerbeanmeldung ist aber offenbar nicht erfolgt. Karl Hummel starb am 20. Januar 1954 im Haus in der Schlossergasse. Seine 1990 verstorbene Witwe überlebte ihn um 36 Jahre .
Quellen
Archivalien:
- StadtA SHA 55/5 (Gemeinderatsprot. 1947), S. 93, 159; 55/7,S. 39 (Anträge Hummel)
Literatur:
- Karl Johann Hirtler: Fahnen raus! Der Daubmann kommt! Die Endinger Köpenickiade, Freiburg 1981
- Clemens Rehm: Oskar Daubmann / Karl Ignaz Hummel, Schneider und Schwindler, 1898-1954, in: Taddey, G.; Brüning, R. (Hrsgg.): Lebensbilder aus Baden-Württemberg; Bd. 22, Stuttgart 2007, S. 487-520
- Helmut Schulz: Der Heimkehrer und der Major. Der Fall Oskar Daubmann, in: Gerhart Hermann Mostar, Robert A. Stemmle (Hrsgg.): Die Hölle. Zehn Kriminalfälle (Der neue Pitaval), München; Wien; Basel 1963, S. 47-84